Stefan Klippstein ist der Tierretter
Wer hört schon Angstschreie eines Kaninchens aus einem fahrenden Taxi heraus? Stefan Klippstein hört so was nicht nur, er lässt gleich das Taxi am Fuß der Berliner Siegessäule anhalten.
Da ist es ihm egal, ob der Taxifahrer vielleicht denkt, der Typ sei irre. Nur wenn die Leute sagen, er wäre ein Held, weil er ständig Tiere rettet, dann ist es ihm ein wenig peinlich. Für Mäxchen, wie Klippstein das erst wenige Wochen alte Wildkaninchen später nannte, war er jedenfalls die Rettung. Eingewickelt in sein T-Shirt brachte Klippstein das Tier im Taxi zum Tierarzt, wo es untersucht und versorgt wurde. Da Berlin keine Auffangstation mit Wildkaninchen hat, musste Klippstein erst bundesweit einen Platz suchen, wo es zusammen mit gleichaltrigen Artgenossen auf seine Auswilderung im Herbst vorbereitet wird, denn bei gefundenen Wildtieren ist es wichtig, sie so bald wie möglich wieder auszuwildern, damit sie frei in der Natur leben können.
„Es ist gar nicht so, dass ich hilfsbedürftige Tiere suche“, beteuert Klippstein. Aber ob es um angefahrene Füchse, aus dem Nest gefallene Vögel oder in Not geratene Hunde und Katzen geht – Klippstein hat offensichtlich einen Blick für sie entwickelt. Er sieht aus dem Augenwinkel heraus, dass da eine Taube im Gewimmel halbtot ist. Und er weiß auch, wie er ihr helfen kann, denn er ist ausgebildeter Tierpfleger. Klippstein rettet Tiere nicht nur privat, er hat darin seine Berufung gefunden – inzwischen ist der Tierretter beim gemeinnützigen Tierschutzverein „Arbeitskreis humaner Tierschutz“. Auch wenn ihm das Aufpäppeln von Tieren großen Spaß macht, weiß er, dass er damit allein letztlich nur wenige Tiere retten kann. Umso wichtiger ist es ihm, die Probleme bei der Wurzel zu packen und Missstände grundsätzlich anzugehen. Daher protestiert er mit dem Arbeitskreis humaner Tierschutz öffentlich gegen Nerzfarmen und Kaninchenmast, ist mit versteckter Kamera in Zoohandlungen unterwegs und dokumentiert mit Fernsehteams Missstände in Mastanlagen. Wo es nötig ist, erstattet er Anzeige und macht den Behörden Druck, wenn sie ihren Aufgaben nicht nachkommen, was leider viel zu häufig der Fall ist. „Es gab Fälle, wo ich ein Riesentheater veranstalten musste und mich fast bis zum Polizeipräsidenten hochtelefoniert habe“, erzählt Klippstein. „Ich habe mir geschworen, wenn ich an einem Fall dran bin, lasse ich nicht mehr los. Verstößt ein Tierhalter gegen das Gesetz, müssen wir uns durchsetzen. Und sei es, dass wir eine Petition im Landtag einreichen müssen, weil ein Hund an der Kette gehalten wird.“
Sein hartnäckiges Engagement für einzelne Tiere zeigt Wirkung. Die Veterinärämter kennen ihn längst und reagieren mittlerweile, wenn er anruft. Manche Amtsveterinäre finden es sogar gut, dass er ihren Kollegen Dampf macht, aber bei den meisten ist er verhasst. Denn oftmals musste Klippstein erst die Medien einschalten, damit überhaupt etwas passiert. Die berichten häufig über seine Fälle, wie über die Rettung des verwahrlosten Kettenhundes Bully. Den hat er – mal wieder ganz zufällig – auf dem Heimweg auf dem Grundstück eines abbruchreifen Hauses entdeckt. Der Besitzer war mit sich und dem Hund, der ohne richtige Hütte tagaus, tagein draußen lebte, völlig überfordert. Wasser gab es nur bei Regen aus der Regentonne. Klippstein bot an, den Hund gleich mitzunehmen. Zu Klippsteins Überraschung willigte der Besitzer sogar ein. „Obwohl er den Hund zehn Jahre hielt, hat er sich noch nicht mal dafür interessiert, wer den Hund da eigentlich mitnimmt und wo er untergebracht wird.“ Trotz der jahrelangen Verwahrlosung erwies sich der zottelige Mischling aus Schnauzer und Labrador als lieb und verspielt. Natürlich musste Bully erst entwurmt und entfloht werden. Eine Hundetrainerin hat zudem zwei Wochen mit ihm gearbeitet. Die grausame Haltung ohne Kontakt zu Tieren und Menschen hatte aber glücklicherweise seinem freundlichen Wesen nichts anhaben können. Natürlich hat Klippstein für Bully schließlich ein tolles Zuhause gefunden: auf einer Landpension in Brandenburg, zusammen mit anderen Tieren.
Oftmals ist den Leuten ihr tierquälerischer Umgang mit Tieren gar nicht bewusst, hat Klippstein festgestellt. Ein alter Mann, der eine Zoohandlung betrieb, wusste nicht einmal mehr, dass er überhaupt Fische im Angebot hatte, erzählt er. Da Klippstein zwischenzeitlich als Altenpfleger gearbeitet hat, hat er auch für solche Fälle das richtige Händchen. Falls Aufklärung und Hilfsangebote bei Tierhaltern nicht fruchten, kann er allerdings schon mal aufbrausen. Locker lässt er jedenfalls nie. Spätestens zuhause in der Badewanne kommt er auf die richtige Idee, um sich schließlich durchzusetzen. Klippstein legt er sich auch mit den ganz Großen an, etwa der Deutschen Bahn, weil sie den Zugverkehr nicht für eine Minute unterbrechen wollte, sodass die Tierschützer gefahrlos ein aus dem Nest gefallenes Krähenkind aus dem Gleisbett hätten retten können. Sie retteten den Vogel trotzdem, den sie flugs Karlchen tauften, allerdings in Anwesenheit eines eilig herbeitelefonierten Pressefotografen. Am nächsten Tag hagelte es Hunderte zorniger Protestmails von Tierfreunden an die Bahn. Das nächste Mal hält die Bahn möglicherweise lieber den Zugverkehr an.
Seine Zielstrebigkeit hatte Klippstein offenbar schon als Kind. Mit fünf Jahren eröffnete er seiner Mutter, dass er nun Vorsitzender des Tierschutzvereins im Kindergarten ist und fortan auch kein Fleisch mehr essen mag. Das hat er seither auch nicht mehr getan, seit zehn Jahren lebt er sogar vegan. Die Tierliebe hat sich nicht, wie seine Mutter zunächst glaubte, wieder verwachsen. Mit elf Jahren half er im Tierheim mit, wo er später seine Ausbildung machte. In der Schule sprach sich das schnell herum, sodass nun auch andere hilflose oder verletzte Tiere zu ihm brachten. Kein Wunder, dass er zuhause bald einen kleinen Zoo hatte und im Bad auch mal ein Schwan für ein paar Tage untergebracht war. Klippstein versorgte nicht nur die Tiere, er sprach auch schon als Jugendlicher mit den Menschen, die sie schlecht behandelten. „Zuerst haben sie in dem kleinen Ort, in dem ich aufwuchs, gedacht, dass ich spinne“, erinnert er sich. „Als sie aber mitbekommen haben, dass ich Ahnung von Tieren habe und ganz vernünftig bin, kamen sie sogar zu mir, etwa mit einem kranken Huhn, das sie nicht schlachten wollten, weil es ihnen leid tat.“ Heute hält dort niemand mehr Hunde im Zwinger oder an der Kette. Selbst die Bauern kastrieren längst ihre Katzen, um das Elend von Straßenkatzen zu vermeiden.
Nachdem er eine Dienstwohnung im Tierheim bezogen hatte, umsorgte er neben seiner Arbeit mit einem 24-Stunden-Bereitschaftstelefon manchmal bis zu 20 Tiere gleichzeitig bei sich daheim: alte Hunde, die man nicht mehr nicht mehr im Tierheimzwinger halten konnte, Füchse, Igel und sogar ein Waschbärenkind, das ihm ein Jäger brachte, der zwar die Mutter erschossen hatte, dann aber Mitleid mit dem Jungtier bekam. Auch Rehkitze machten bei Klippstein Zwischenstation, bis sie in ein Auswilderungsgehege umziehen konnten. Mit der zahmen Füchsin Uschi konnte er sogar Fußball spielen und an der Leine spazieren gehen. Im Tierheim bekommt man auch eine gute Menschenkenntnis, berichtet Klippstein. Nach einem halben Jahr weiß jeder dort, wenn einer einen „zugelaufenen“ Hund bringt, ob er lügt, um die Abgabegebühr zu sparen. Als Tierpfleger musste Klippstein Schlangen in einer Stadtvilla und Katzen im Bordell einfangen sowie die Messie-Wohnung eines Hundehändlers räumen. „Da lernt man das ganze Spektrum von Menschen kennen“, sagt Klippstein. Auch als professioneller Tierretter ist er mit Schicksalen von Tieren und Menschen konfrontiert. So entdeckte er einmal, dass Kinder dazu missbraucht wurden, um verbotenerweise Yorkshire-Hundewelpen am Bahnhof Zoo zu verkaufen. Obwohl ganz in der Nähe eine Polizeistation ist, versuchte dort ein Ring von Hundedealern ihr illegales Geschäftsmodell zu etablieren. Flugs bestellte Klippstein einen Zeitungsfotografen vor Ort, um einen Kauf zwecks Beweissicherung vor der Kamera abzuwickeln. Die im Hintergrund wartenden Hundedealer bemerkten sein Vorhaben jedoch und wollten ihm das Hundekind wieder entreißen. Klippstein floh mit dem Hund und erstattete umgehend Anzeige bei der Polizei, die nun endlich gegen die Hundedealer vorging. Sie brachte die aus dem Ausland stammenden Kinder zunächst im Kinderheim unter und beschlagnahmte die Hunde. Seinen „gekauften“ Yorkshire Robert durfte Klippstein allerdings behalten. Weil der Vorfall groß durch die Medien ging, konnte Klippstein den Hundedealern in Berlin dauerhaft das Geschäft vermasseln.
Natürlich hat er mit so ziemlich allen Tierarten Erfahrung gesammelt, die man in Deutschland zwischen die Finger kriegen kann. Lieblingstiere hat er dennoch nicht. Solange einem Tier noch zu helfen ist, muss ihm geholfen werden, findet er. Da ist es ihm egal, ob es ein teurer Rassehund oder eine Amsel ist. Selbst wenn der Tierarzt meint, es lohne sich nicht, bei einer Taube so viel Aufwand zu betreiben, wird es trotzdem gemacht. „Man muss Tiere nicht vermenschlichen, um sie gut zu behandeln“, sagt Klippstein. „Jede Tierart hat ihre eigenen Bedürfnisse und die sollten möglichst gut erfüllt werden.“ Selbstverständlich gilt das für ihn auch für sogenannte Nutztiere. Oftmals kann er gerade hierbei nur einzelnen Tieren helfen. „Wenn ich in einen Maststall gehe, um Missstände zu dokumentieren, kann ich nicht 20.000 Puten mitnehmen“, sagt Klippstein. Aber er weiß, dass er mit einzelnen Tierschicksalen andere aufrüttelt. Neulich dokumentierten sie mit einem Fernsehteam die Zustände in einer Schweinemast. Der Schweinehalter hauste dort mit etwa 300 Tieren, obwohl er seit zehn Jahren ein Tierhalteverbot hatte. Überall lebten Ratten und es lagen tote Ferkel herum. Die zuständige Amtstierärztin ging dennoch ein und aus, ohne jemals etwas dagegen zu unternehmen. Ein geschwächtes und bereits von Ratten angefressenes Ferkel haben sie nach dem Dreh im Maststall mitgenommen und in eine Tierklinik gebracht, wenn nötig, um es einschläfern zu lassen. Doch die Ärzte konnten das Schwein retten. Der Tonmann – ein ehemaliger Fleischer – der zu dem begleitenden Kamerateam gehörte, taufte es auf den Namen Mariechen. Ihn hat das Schweinchen so berührt, dass er noch nachts vom Hotel aus seine Frau anrief, sie solle Wurst und Steaks aus dem Kühlschrank räumen. Er könne kein Fleisch mehr essen, denn dabei müsste er nun immer an das Ferkel Mariechen denken. Mariechen darf inzwischen zusammen mit etlichen anderen geretteten Nutztieren im „Kuhaltersheim“ auf Hof Butenland auf ein langes, gutes Leben hoffen.
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